Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Safe Place – Safe Space: Erzählcafés zum Thema „Endlich leben!?“

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Ingrid Marth und Claudia Fupun über ihr gemeinsames Projekt  „Endlich leben“, das im Rahmen des iCare Projekts entstanden ist, im Gespräch mit Marianne Buchegger:

Ursprünglich hattet ihr zwei unterschiedliche Projekte geplant. Wie kam es dann dazu, dass ihr gemeinsam etwas auf die Beine gestellt habt?

Claudia Fupun: Genau, wir hatten ursprünglich getrennte Vorhaben, aber uns hat der hospizliche Gedanke verbunden – also die Frage, wie man diese Haltung und die Themen, die damit einhergehen, auch auf gesellschaftlicher Ebene besprechbar machen kann. Ich hatte die Idee einer Hängematte im öffentlichen Raum als Symbol fürs Sich-Fallenlassen. So wollte ich mit Bürgerinnen und Bürgern über die Themen Krankheit, Sterben, Vergänglichkeit ins Gespräch kommen. Als ich dann mit Ingrid über ihr Projekt gesprochen habe, wurde schnell klar: Es ist besser, die Energien zu bündeln.

Ingrid Marth: Für mich war rasch klar, dass ich das sehr niederschwellig machen möchte – am besten in meinem Wohnbezirk, dem sechsten Bezirk in Wien. Dort gibt es schon viele Ressourcen und Strukturen: eine Nachbarschaftszeitung, engagierte Bezirksräte, einen offenen Bezirksvorsteher. Ich wollte an das anknüpfen, was schon da ist, und habe die Bezirksvertretung kontaktiert.

Und wie ging’s dann weiter?

Ingrid Marth: Die haben mich an verschiedene Einrichtungen verwiesen, von Alten- und Pflegeheimen bis zu Nachbarschaftszentren. Ich habe aber betont, dass ich auch jüngere Menschen miteinbeziehen möchte. Die Bezirksvertreterin war da zunächst etwas irritiert, hat mir aber ein paar Adressen geschickt und später den Tipp gegeben, ein Projekt für den Nachbarschaftspreis einzureichen. Also habe ich spontan „No Ned Gsturm“ als Arbeitstitel gewählt, meine Idee formuliert und eingereicht. Aber es ging mir von Anfang an weniger um den Preis als ums Vernetzen.

Claudia Fupun: In der Zeit haben wir uns dann zusammengetan und gesagt: Das machen wir gemeinsam. Bei der Preisverleihung haben wir uns dann mit anderen engagierten Menschen vernetzt, unter anderem mit der Mitmachregion Mariahilf, vier großartigen Frauen.

Ihr habt euch dann auch mit dem Sorgenetz und dem achtsamen Achten verbunden, richtig?

Ingrid Marth: Ja, im Jänner haben wir Kontakt zu Gert Dressel vom Sorgenetz und achtsamen Achten aufgenommen. Er hat unglaublich offen sein Wissen mit uns geteilt. Nach dem Treffen waren wir sehr inspiriert und Ingrid Otepka von der Mitmachregion Mariahilf hat einen Projektantrag für eine Förderung geschrieben – für Erzählcafés und einen Workshop für Multiplikator:innen.

Claudia Fupun: Uns war wichtig in eine Struktur eingebunden zu sein und  Formate zu entwickeln, die auch andere umsetzen können. Es ist uns ja auch die Nachhaltigkeit wichtig.

Und das erste Erzählcafé fand dann im April statt?

Ingrid Marth: Genau, am 23. April. Wir haben spontan zugesagt, als gefragt wurde, ob wir ein Thema hätten. „Endlich leben!? – Geschichten zur Vergänglichkeit“ war das Thema.

Claudia Fupun: Es geht bei diesen Erzählcafés um Lebensgeschichten. Menschen erzählen aus ihrer Biografie, welche Erinnerungen sie zu bestimmten Themen haben, die sie teilen möchten. Es ist ein geschützter Raum, in dem nicht bewertet oder verglichen wird. Erzählen ist optional, zuhören ist Pflicht. Es gibt nicht „die eine Wahrheit“. Wir hören zu und treten miteinander in Beziehung.

Worin unterscheidet sich euer Format von klassischen Trauercafés?

Claudia Fupun: Bei uns gibt es keine Zielgruppe im Sinne von „nur für Trauernde“. Jede und jeder, der sich eingeladen fühlt, kann kommen – unabhängig von Alter, Gesundheitszustand oder Erfahrungen. Wichtig ist nur, dass die Menschen Lust haben, sich zu öffnen und zuzuhören.

Ingrid Marth: Genau, wir kündigen Themen an und wer sich angesprochen fühlt, kommt. Am Ende hat man das Gefühl, man kennt sich, obwohl man sich vorher nie gesehen hat. Jemand erzählt eine Geschichte, die dann bei den anderen wieder Erinnerungen an eine weitere Geschichte auslöst. So werden Erfahrungen geteilt und schaffen Verbindung.

Claudia Fupun: Und das macht etwas mit einem. Dieses Teilen und Zuhören in so einem Rahmen ist im Alltag selten. Es erweitert den Horizont, schafft Verständnis für andere Perspektiven und verändert auch, wie man künftig Gespräche führt.

Bleibt ihr mit dem Projekt im sechsten Bezirk, oder sind weitere Pläne in Aussicht?

Ingrid Marth: Der sechste Bezirk bleibt unsere Basis. Aber wir hoffen, dass sich das Projekt ausbreitet – dass Menschen sich davon angesprochen fühlen und selbst Erzählcafés organisieren. Wir können den ganzen Bezirk ja nicht allein bespielen. Unser Ziel ist es schon, auch andere Bezirke dazu zu ermutigen.

Claudia Fupun: Das Thema hat Potenzial. Es geht darum, das Tabu um Sterben, Tod und Verlust zu brechen und wieder ins Gespräch zu bringen – ohne erhobenen Zeigefinger, sondern im offenen Dialog. Letztlich geht es ja um das Leben am Lebensende und wie wir es gemeinschaftlich leben möchten.

Was ist für euch das Besondere an diesen Cafés?

Claudia Fupun: Diese ganz andere Art des Miteinander-Sprechens und Zuhörens. Es geht nicht ums Überzeugen oder darum, wer recht hat. Es soll soziale Teilhabe stärken – hat also auch einen demokratiepolitischen Anspruch und Aspekt. Man spürt im Moment, was man teilen möchte, hört sich gegenseitig ohne Wertung zu. Diese Begegnung auf Augenhöhe und ohne Vorurteile berührt die Menschen.

Ingrid Marth: Genau das ist es. Dieses Format fördert emotionale Verarbeitung und Resilienz, wirkt Einsamkeit entgegen, schafft Reflexionsräume und fördert soziale Netzwerke. Es verändert, wie wir miteinander umgehen – im Grätzel und darüber hinaus.

Das Gespräch führte Marianne Buchegger, Leiterin eines Tageszentrums der CS

Mag.a Claudia Fupun ist DGKP und hat Politikwissenschaft studiert. Sie leitet das Mobile Caritas Palliativteam, ist HPCPH Multiplikatorin, Lehrgangsleitung eines Interprofessionellen Palliativlehrgangs im Kardinal König Haus und Referentin an der PMU Salzburg.

Ingrid Marth ist DGKP und hat viele Jahre das Mobile Palliativteam der Caritas Socialis geleitet. Sie ist Diplomierte Erwachsenenbildnerin Fachbereich Gesundheitsförderung, B.A. buddhistische Philosophie, Ernährungsberaterin TCM, Lehrgangsleitung eines Interprofessionellen Palliativlehrgangs im Kardinal König Haus und Referentin in diversen Einrichtungen.

Foto (c) Gert Dressl