Phasen, die auftreten können

Wenn Menschen mit schwierigen Nachrichten wie z.B. der Diagnose einer unheilbaren oder schweren Krankheit konfrontiert werden, reagieren sie unterschiedlich. Bei aller Unterschiedlichkeit können doch zugrundeliegende Gemeinsamkeiten beobachtet werden, sodass man von Phasen der Bewältigung spricht, die häufig auftreten (können).

Menschen sind am Leben, bis sie sterben, und bezeichnen sich selber auch selten als Sterbende. Der Weg  unheilbar kranker Menschen bleibt bis zuletzt eine höchst individuelle Angelegenheit. Er kann also den verbreiteten Phasenmodellen folgen, aber auch einen ganz anderen Verlauf nehmen. Ebenso unwägbar bleibt die Dauer. Das menschliche Lebenspotenzial entzieht sich schlicht und einfach jeder exakten Berechnung.

In einem Punkt stimmen alle Phasenmodelle überein, wenn es um Sterben geht: Das Interesse schwerkranker und sterbender Menschen verlagert sich von außen nach innen. Was wie ein passiver Rückzug wirkt, kann auch ein höchst aktives inneres Geschehen sein. Die Sterbenden sind dabei ganz bei sich und vollkommen mit sich selbst beschäftigt. Dass sie dies bleiben können, ist die vorrangige Aufgabe von Betreuung, Pflege und Medizin. Weder Atemnot, Schmerzen und Übelkeit noch unbequemes Liegen sollen diesen Zustand höchster Konzentration stören können.

Vier Phasen nach Jonen-Thielemann

Die deutsche Palliativmedizinerin Ingeborg Jonen-Thielemann hat aus ihrer langjährigen Erfahrung auf 4 typische Phasen in der letzten Lebenszeit unheilbar Kranker geschlossen. Ihr Gliederung orientiert sich an den Aktivitäten, die dem bzw. der Kranken noch möglich sind – sowie an der geschätzt verbleibenden Lebenszeit. Die Beschreibung folgt ihrem 2000 veröffentlichten Beitrag „Die letzte Lebenszeit unheilbar Kranker – Definition von Phasen“ (Zeitschrift für Palliativmedizin S1, 1. Jg., Sept 2000, S21; M1.1):

  1. In der sogenannten Rehabilitationsphase ist den Kranken die weitgehend normale Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglich. Sie kann Monate, ja Jahre dauern. In der Begleitung sind Symptomkontrolle und die Erhaltung der Mobilität gefragt.
  2. In den letzten Lebenswochen oder -monaten der anschließenden Präterminalphase ist ein aktives Leben immer eingeschränkter möglich.
  3. Die Terminalphase erstreckt sich über wenige Tage oder Wochen. Sie geht mit Bettlägerigkeit und beeinträchtigter Handlungsfähigkeit einher. Die Symptome können rasch wechseln, die Sterbenden ziehen sich innerlich zurück – oder verfallen in Ruhelosigkeit.
  4. In den letzten Stunden der Sterbephase ist das Bewusstsein ganz auf die Innenwelt gerichtet. Der Mensch liegt buchstäblich im Sterben.

Phasenmodell zur Bewältigung von Krisen nach Kübler-Ross

In ausgedehnter teilnehmender Beobachtung und basierend auf den Erkenntnissen anderer AutorInnen wie Beatrix Cobb, John Bowlby, Colin Murray Parkes u.a.[1] ist auch das bekannte Phasenmodell zur Bewältigung von Krisen der berühmten Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross[2] entstanden. Es zählt 5 ineinander übergehende Abschnitte und hat vor allem das äußere wie innere Verhalten im Blick.

Übertragen auf die Situation einer lebensbedrohlichen Erkrankung kann man es so beschreiben:

  1. Die erste Phase ist durch Leugnung und ein Nicht-Wahrhaben-Wollen des nahenden Todes bzw. der Diagnose „unheilbar“ gekennzeichnet. Dabei isolieren sich viele Menschen auch.
  2. Ärger und Zorn prägen die zweite Phase. Häufig fühlen sich die Kranken um ihre Zukunftspläne und Lebenswünsche betrogen.
  3. Dem folgt oft eine Periode des Verhandelns, zumeist mit Gott oder einer höheren Autorität. Dabei werden Gelübde im Tausch für Heilung oder Lebenszeitverlängerung angeboten.
  4. Kommt dieses „Geschäft“ nicht zustande, schließt sich zumeist eine depressive Phase an. In der gesteht sich der bzw. die Kranke die Unausweichlichkeit des Todes ein.
  5. In der letzten Phase geben die Sterbenden ihre Zustimmung und beginnen, das Leben loszulassen.

[1] Davis Konigsberg Ruth: The Truth about Grief. The Myth of the Five Stages and the New Science of Loss. Simon & Schuster Paperbacks, New York 2011

[2] Elisabeth Kübler Ross, On death and dying, S 120

Jeder Weg ist individuell

Die psychologische Folgerichtigkeit dieses Phasenmodells verleitet leicht zur Annahme, ein Sterbeprozess könne eigentlich nur so verlaufen. Doch wie eingangs erwähnt, kann es auch ganz anders kommen: Schwerkranke bzw. Sterbende „überspringen“ Phasen, durchleben sie in anderer Reihenfolge oder sterben „mittendrin“ unerwartet plötzlich. Dennoch sind die Darstellungen von Kübler-Ross und Jonen-Thielemann gerade für Angehörige hilfreich. Zum einen geben sie Orientierung. Zum anderen helfen sie, vermeintlich unangemessene Gefühle und Verhaltensweisen (wie Wegschauen, Wut und Enttäuschung) als völlig normale Reaktion zu verstehen und richtig einzuordnen – sei es seitens des bzw. der Sterbenden, sei es die eigene Person betreffend. Der bestmögliche Umgang damit besteht in jedem Fall im verständnisvollen und urteilsfreien Annehmen.