CW, Mutter der Autorin, geboren 6.6.1942 – gestorben 31.1.2010
Diagnose am 6.5.2008: Lungenkrebs, kleinzelliges Adenokarzinom, Metastasen im Gehirn
Was bedeutet es als Angehörige, von dieser Krankheit der eigenen Mutter zu erfahren?
Meine Mutter war 65 Jahre alt, fit, voller Energie, wirkte sehr jung für ihr Alter, international unterwegs. Zu Ostern ist sie von einem Stockerl gefallen, danach wurde ihr kleiner Finger taub, mehrere Neurologen suchten die Ursache im Halswirbelbereich, bis einer sie zur Untersuchung ins AKH schickte. Ich war nicht in Wien, mein Bruder und mein Mann waren bei ihr, als die Diagnose kam. Lungenkrebs war schon schlimm, aber Metastasen im Kopf waren schrecklich. Außerdem wollte sie der Arzt sofort am nächsten Tag am Kopf operieren. Mein Vater war in Asien, mein anderer Bruder in England, die Familie war im Schock und versuchte das Notwendige zu organisieren. Onkologe, Reisen, Termine, wer konnte wann bei ihr sein…Einerseits waren wir sachlich-funktional, andererseits komplett überfordert und am Boden zerstört. Es war schnell klar, dass eine Welt zusammengebrochen ist. Dass es nie mehr so werden würde, wie vor der Diagnose, unbeschwert und zukunftssicher. Wir hatten plötzlich eine kranke Mutter, Ehefrau, Großmutter, Schwiegermutter, Schwester, Tante, Freundin….Und niemand wusste, was ihr bevorstand. Die Ärzte machten uns Hoffnung, und wir klammerten uns an jeden Strohhalm. Kopfoperation, Lungen-OP, Chemo, Bestrahlung, Antikörpertherapie, Kopf-OP, Teilnahme an Studie…usw. Krankenhaus, zu Hause, Krankenhaus, zu Hause… Nebenwirkungen, Schmerzen, Schwäche, Haarausfall, Perücke, Arzttermine, Schwäche…
Was war das Schlimmste?
Vor der ersten Kopf-OP am 7. Mai 2008 sagte sie zu mir einen Tag nach der Diagnose: „Ihr werdet für Euren Vater eine neue Frau suchen müssen. Mit mir wird es nicht mehr lange dauern und er kann nicht allein bleiben.“ Ganz klar, ganz nüchtern.
Natürlich habe ich abgewiegelt, beschwichtigt, versucht ihr und mir Hoffnung zu machen, sie die nächsten 15 Monate immer wieder ermutigt, nicht aufzugeben, weiterzukämpfen. Wir wollten dem Schicksal noch Zeit abtrotzen. Es war schön, aber der Preis war auch hoch.
Nach und nach verlor sie ihre Autonomie. Sie bekam immer wieder epileptische Anfälle, durfte nicht mehr Autofahren, konnte bald nicht mehr allein auf die Straße gehen, weil sie so schnell schwindlig wurde.
Eine Nebenwirkung der Chemo, neben Müdigkeit, Schwäche, Haarausfall und Übelkeit, war, dass ihr Mund voller offener Stellen war, sodass sie kaum essen konnte. Am Ende wog sie kaum 50 kg, bekam durch das Kortison aber das typische „Mopsgesicht“, hatte Hautprobleme, konnte kaum mehr gehen.
Eine befreundete Ärztin hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass meine Mutter als Patientin entscheiden und sagen muss, wenn sie nicht mehr kann, wenn sie genug hat, weil die Ärzte so lange wie möglich weiterbehandeln. Dass sie die Entscheidung treffen muss, die kurative Behandlung zu beenden. Wir wussten das nicht. Ich habe es dann mit ihr besprochen. Das war hart. Als sie sich wegen totaler Erschöpfung entschloss, keine Therapien mehr zu machen, hatte sie noch die Angst, den Onkologen zu enttäuschen. Dabei war es eine schwere und mutige Entscheidung. Drei Wochen vor ihrem Tod hat sie ihn selbst noch gebeten, ihr ein Bett auf der Palliativstation zu organisieren.
Sie wusste, dass sie stirbt.
Trotz ihrer Krankenhausphobie wollte sie, wie sie es formulierte, meinem Vater nicht antun, dass sie zu Hause zu stirbt. Ich glaube, weil sie dachte, er sollte nach ihrem Tod in eine Wohnung zurückkommen, in der sie zusammen gelebt hatten, nicht in eine, wo sie gestorben war – im körperlichen und im ideellen Sinn.
Was ist gut? Gibt es Gutes?
Bei uns war gut, was davor schon gut war. Wir konnten auch lachen. Nicht immer, aber für alle war es nur mit Humor zu ertragen. Wir haben mit ihr, als Familie und mit ihren engen Freunden zusammen noch viel Zeit verbracht. Wir konnten für sie da sein, so wie sie das immer für uns gewesen war. Und sie konnte Unterstützung annehmen. Alle haben ihr Bestes gegeben.
Aber es hat sich auch nichts Wesentliches geändert. Sie wurde durch die Krankheit nicht schlagartig weise, sie hat sich angesichts des Todes nicht mit ihrer Schwester versöhnt, es gab keine letzten klärenden Gespräche, kein „Was ich Euch immer schon sagen wollte!“. Sie war immer schon pragmatisch gewesen und zu ihren innersten Gefühlen bekam auch zuletzt niemand Zugang.
Wie wurden Sie bzw. die Patientin betreut
Die medizinische Betreuung davor war sehr gut, die Palliativstation am AKH war damals ganz neu und vieles hat dort noch nicht richtig funktioniert. Eine leicht paternalistische Note gab es auch noch, à la „Wir hören nicht richtig zu, aber wir wissen, was für Sie gut ist.“ Immerhin galten für die Angehörigen keine Besuchszeiten, weiter wurde von ihnen nicht Notiz genommen. Aber wir hatten dahingehend auch keine Erwartung.
Welche Ressourcen haben Sie? Was stärkt Sie, was hilft Ihnen?
Was mich gehalten hat, war die Familie. Mein Mann und meine Kinder, aber auch meine Freunde, meine Brüder und ihre Familien, und, dass mein Vater weiterleben wollte und nicht depressiv wurde. Trotz unserer Trauer blieb das Motto „Lebe gut, lache gut! Mache Deine Sache gut“ unser Auftrag, das war wichtig. Und die Erinnerung an sie und das, was von ihr in uns allen blieb, Geschichten, Charakterzüge, etc. immer wach zu halten und darüber zu sprechen, wenn uns danach ist.
Waren Sie vorbereitet? Was würden Sie anderen in dieser Situation raten?
Nein, wir waren überhaupt nicht vorbereitet. Wir wussten großteils nichts, nichts über die Krankheit, die Behandlung, die Nebenwirkungen, nichts über Hospiz- und Palliativversorgung, nichts über Rechtliches wie vorausschauende Planung, Erbfolge, Testamenterstellung oder Bestattung etc. – wir haben alles am Weg Schritt für Schritt gelernt.
Gut dabei war, dass meine Mutter als Patientin und wir Angehörige alles wissen und besprechen wollten. Das macht es für alle leichter, wenn es keine Tabus gibt, no elephant in the room, über den keiner spricht.
Gut war auch, dass die Ärzte bei aller Offenheit – auch bei dieser katastrophalen Diagnose – ihre Erklärungen und Therapievorschläge immer mit etwas Hoffnung und einem positiven Ausblick verknüpft haben. Sie haben nicht Heilung versprochen, aber Etappensiege in Aussicht gestellt.
Was kann man anderen raten? Versucht, zum Wohl des Patienten, der Patientin und zu Eurem eigenen Wohl zusammenzuhalten und kooperiert mit Ärzt:inn:en und Pflegepersonen, wenn sie auch in diesem Sinn agieren. Redet miteinander und hört zu. Nehmt Euch so viel Zeit wie möglich – jetzt, weil später ist irgendwann vorbei.
Was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, lange zu leben und dann einen guten Tod. Vielleicht einen schnellen, vielleicht auch einen, der langsam kommt, sodass ich mich darauf vorbereiten kann, – ich weiß, nicht was besser ist. Im Bewusstsein, dass meine Familie mich liebt und mich verabschiedet, so wie ich sie. In Frieden, in Würde, umsorgt.
Aufgezeichnet von Catrin Neumüller,
Leitung Öffentlichkeitsarbeit & Fundraising, HOSPIZ ÖSTERREICH