Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Es kommt Ruhe rein – und Sicherheit. Der VSD Vorsorgedialog® aus Sicht des Pflegexperten.

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Arthur Holzinger, Pflegeperson und Wohnbereichsleiter in einer Langzeitpflegeeinrichtung der Caritas Socialis in Kalksburg, Wien hat selbst Dutzende VSD Vorsorgedialog®-Gespräche mit Bewohner:innen und ihren An- und Zugehörigen geführt und sich in seiner Masterarbeit im Universitätslehrgang Palliative Care mit dem VSD beschäftigt. Wir sprechen darüber, ob und wie sich die VSD Gespräche auf die Beziehungen der involvierten Personen auswirken.

Arthur, der VSD Vorsorgedialog® ist ein Instrument der vorausschauenden Planung. Was ist er für dich noch?

Der VSD ist ein Kommunikationsangebot. Er hat das Potenzial, über ein für Bewohner:innen würdevolles Leben und Lebensende ins Gespräch zu kommen. Und vor allem: Er ist ein Prozess, der eigentlich nie abgeschlossen ist. Für mich ist der VSD eine Ermutigung, weiterführende, vertrauensvolle Gespräche zu führen.

Was wird im VSD festgehalten und was ist für dich das Besondere daran?

Festgehalten werden Wünsche für eine gute Lebensqualität. Auch für die Lebensqualität am Lebensende. Wir sprechen auch über medizinisches Vorgehen, wenn es zu einer Verschlechterung einer Erkrankung kommt. Das wird im Übrigen immer sehr krankheitsspezifisch gemacht. Ob ein Mensch an Demenz erkrankt ist oder beispielsweise eine Tumorerkrankung hat, die zu einer Blutung führen könnte, macht einen großen Unterschied. Hier sind wir sehr spezifisch und da brauchen Menschen viel differenzierte Information. Vor allem reden wir über Wünsche für das restliche Leben, wohin die Reise gehen könnte und was es dafür braucht. Die Fragen, die in den Gesprächen oft eine große Bedeutung haben, sind: „Wie möchte ich leben?“, und „Was bedeutet für mich ein gutes Leben?“ Und da gehört halt auch das Sterben dazu.

Was überrascht dich bei den Gesprächen immer wieder?

Wie klar Menschen ihre Wünsche für das Lebensende benennen können. Viele sagen zu Beginn, dass sie da noch wenig drüber nachgedacht oder gesprochen haben. In diesem vertrauensvollen Setting kommen dann aber meist sehr klare Vorstellungen zu Tage. Ich erlebe allerdings oft, wie wenig Menschen über die Betreuungsmöglichkeiten am Lebensende wissen. Viele Menschen wissen einfach nicht, dass man für symptomlindernde Maßnahmen, pflegerische sowie medizinische, nicht in ein Krankenhaus muss, sondern auch gut und sicher in einem Pflegeheim aufgehoben sein kann. Da braucht es oft noch sehr viel Information.

Was verändert sich durch den Einsatz des VSD in Pflegeeinrichtungen?

Objektiv gesehen haben wir leider noch zu wenig wissenschaftliche Daten, um den VSD hier gut weiterentwickeln zu können. Ich halte es für wichtig, da mehr in die Forschung zu investieren.

Subjektiv kann ich allerdings sagen, dass die Einführung des VSD in unserem Wohnbereich, sogar in unserem Haus, sehr viel Positives bewirkt hat. Wenn wir die Beziehungsebene zwischen den Pflegepersonen, den Bewohner:innen und deren Angehörigen betrachten, so erleben wir, dass über diese so präsenten, wichtigen existenziellen Themen, die ALLE Beteiligten beschäftigen und früher oft vermieden wurden, nun von allen Seiten proaktiv gesprochen wird. Das bringt ungemein viel Sicherheit und Entlastung für alle Beteiligten mit sich. Das Thema „Sterben“ wird zunehmend enttabuisiert. Interessanterweise wird nun auch viel mehr über das Leben gesprochen, weil das Vertrauen wächst, auch über die schwierigen Themen sprechen zu können und zu dürfen. Mit dem VSD hat sich der palliative und hospizliche Gedanke in unserem Team tiefer verankert. Wir waren schon ein HPCPH Haus[1] und dennoch war gerade der VSD als „praktische Anwendung der Hospizkultur“ dafür ganz entscheidend.

Was hat sich in der Organisation selbst verändert?

Das ist ebenfalls recht interessant. Meines Erachtens gab es früher, dort wo es notwendig war, einen eher psychiatrischen Schwerpunkt mit palliativer Begleitung. Heute habe ich das Gefühl, dass es eher umgekehrt ist. Der Palliativ- und Hospizgedanke wird von Beginn an gelebt, um für die Bewohner:innen die bestmögliche Lebensqualität zu gewährleisten. Es ist nun viel mehr Ruhe in der Begleitung und die Bedürfnisse aller Beteiligten stehen deutlicher im Mittelpunkt.

Gibt es etwas aus deiner Erfahrung, was du anderen Pflegeeinrichtungen empfehlen würdest?

Ja! Dem Thema „Vorausschauende Planung“ soll sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dadurch stehen nicht nur die Autonomie und Würde des Bewohners und der Bewohnerin im Fokus, sondern auch die Mitarbeiter:innen fühlen sich deutlich sicherer im Umgang mit herausfordernden Situationen. Das bedeutet auch, dass der Stresslevel sinkt.

Und noch etwas möchte ich gerne betonen: Über das Sterben und den Tod zu sprechen fällt vielen Menschen schwer, es schreckt auch ab – nicht nur Bewohner:innen, auch die Mitarbeiter:innen. Der VSD betont jedoch das Leben und stellt dieses in den Fokus, ohne aber das Sterben auszusparen. Die Achtsamkeit im Umgang mit der Sprache ist sehr wichtig und der Vorsorgedialog® ist ein wichtiges und positives Kommunikationsinstrument. Denn wir alle wissen, dass Sprache Wirklichkeit erschafft.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Das Gespräch führte Rainer Simader, Leiter des Bildungswesens bei HOSPIZ ÖSTERREICH

[1] Hospizkultur und Palliative Care in Alten- und Pflegeheimen (HPCPH) https://www.hospiz.at/fachwelt/hospiz-und-palliative-care-in-der-grundversorgung/hpc-in-alten-und-pflegeheimen/
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