Die Rolle der medizinisch-therapeutischen Berufe in Palliative Care
22. Jänner 2022; 9.00 – 16.00 Uhr (online)
Das Interesse war beachtlich. Mehr als 150 Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen, Diätolog*innen, in Ausbildung befindliche und andere Interessent*innen aus Österreich und Deutschland nahmen am Fachtag teil.
Das kompakte Programm startete mit einer Begrüßung durch Gesundheitsminister Dr. Wolfgang Mückstein, der darauf hinwies, dass mit dem neuen Hospiz- und Palliativfondsgesetz die entsprechende Versorgung in Österreich gesichert werde.
„Wie gehen wir heute und morgen mit dem Wort Lebensqualität am Lebensende um?“ formulierte Waltraud Klasnic, Präsidentin Hospiz Österreich, die Kernfrage der Thematik. Wie der Minister zollte sie den Teilnehmern Respekt für Zuwendung und Beistand, die sie in ihrem beruflichen Alltag den Patient*innen leisten.
Das Ziel dieser im deutschsprachigen Raum bislang einzigartigen Veranstaltung war es, die Potenziale der Physiotherapie, der Ergotherapie, der Logopädie und der Diätologie aufzuzeigen, wenn es um Lebensqualität am Lebensende sowie um Wünsche und Sorgen von schwer kranken und sterbenden Menschen und deren Zugehörigen geht.
Veranstaltet wurde dieser Fachtag vom Dachverband Hospiz Österreich in Kooperation mit Verbänden PhysioAustria, Ergotherapie Austria, logopädieaustria und dem Verband der Diätolog*innen Österreichs.
Einen Überblick über die Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich lieferte die Geschäftsführerin des Dachverbands Hospiz Österreich, Leena Pelttari. Ziel der abgestuften Versorgung in Österreich ist, dass der/die richtige Patient*in zur richtigen Zeit am richtigen Ort von den richtigen Menschen begleitet und versorgt wird. Österreich hat hier in den letzten Jahren im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz erreicht, ca. 50% des Bedarfs sind gedeckt, allerdings war die Hospiz- und Palliativversorgung bisher Sache der Länder und wurde überall unterschiedlich geregelt und finanziert. Das neue vom Minister zu Beginn angesprochene Gesetz sieht nun erstmals den flächendeckenden Ausbau und die österreichweit geregelte Finanzierung der abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung, die Aus-, Fort und Weiterbildung von haupt- und ehrenamtlich tätigen Personen sowie die Qualitätssicherung vor.
Für die Lebensqualität am Lebensende ist besonders auch die Arbeit der medizinisch-therapeutischen Berufe ganz wesentlich.
Rebecca Tiberini, Palliative Physiotherapeutin und Leitung für Strategie & Integration des St Michael´s Hospice in England, sprach in ihrem Vortrag davon, wie Menschen durch palliative Rehabilitation ein erfülltes Leben bis zum Ende ermöglicht werden kann. Eine alternde Bevölkerung mit einem höheren Aufkommen an chronischen Krankheiten und gesundheitlichen Einschränkungen wird zunehmend abhängiger von Pflegekräften und Gesundheitsdiensten. In der Palliativen Rehabilitation arbeitet ein multidisziplinäres Team gemeinsam mit dem/der Patienten*in und seinen Zugehörigen an der Erreichung seiner/ihrer Ziele, an einer möglichst selbstbestimmten Lebensführung, gutem Wohlbefinden, würdevoller Anpassung an den aktuellen Zustand und unterstützt ihn/sie dabei konstruktiv mit krankheitsbedingten Rückschlägen und Verlusten umzugehen. Dies entspricht auch den in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Bedürfnissen und Wünschen schwer kranker, sterbender und hochbetagter Menschen.
High touch – smart tech: Wie smarte Technologie die Selbstbefähigung von schwerkranken Menschen unterstützen kann, darüber sprach Martin Morandell. Unterstützte Kommunikation, die Nutzung von Smart Phones, Tablets als assistierende Technologien und die Aufrechterhaltung der Selbständigkeit und Selbstbefähigung sind dabei im Fokus.
Die Erfahrungen Betroffener haben Martina Neumayer-Tinhof und Cornelia Prasch durch Statements von Patient*innen zu der Rolle der medizinischen Therapien und der Therapeut*innen in ihrem Leben eingebracht. Fazit: Die Therapien sind für die Verbesserung der Lebensqualität und Allgemeinsituation enorm wichtig, aber der Zugang ist schwierig, es gibt zu wenige Therapeut*innen, besonders am Land in Wohnortnähe und Therapien müssen großteils privat finanziert werden.
Patientenzentriertheit und ethische Betrachtungsweisen waren die Themen von Martina Neumayer-Tinhof, Logopädin und Vizepräsidentin von logopädieaustria. Zentral sind Begegnung, Austausch und ständige Reflexion als Basis einer Haltung und die verschiedenen Menschenbilder der Medizin, die den Umgang zwischen Patient*in und Medizin, Therapie und Pflege prägen.
In Breakout-Sessions wurde zu notwendigen Voraussetzungen und Bedingungen für Rehabilitation am Lebensende, zu den Hürden, die dafür überwunden werden müssen, und den Wünschen der jeweiligen MTD-Berufe in diesem Kontext diskutiert.
Quer über alle Berufsgruppen wurde einhellig die Meinung vertreten, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um die medizinisch-therapeutischen Berufe als festen Bestandteil der Palliativteams zu integrieren und ihren Einsatz zu finanzieren. Besonders im extramuralen Bereich entstehen den Patient*innen derzeit erhebliche Kosten. Als wesentlicher Mangel wurde auch das fehlende Wissen vieler potenzieller Zuweiser*innen darüber genannt, wann und warum diese Berufsgruppen in eine Behandlungssituation integriert werden sollten.
Cordula Winterholler sprach am Nachmittag über Palliative Logopädie, über ihr Einsetzen in der Rehabilitationsphase der Palliativmedizin und ihre Handlungsfelder Sprechen, Sprache, Stimme, Atmung, Schlucken, Hören – in der Kommunikation, bei Nahrungsaufnahme und Genuss. Sie betonte dabei die Bedeutung von Resilienz und Self-care sowie von realistischen, ressourcenorientierten Zielen bei der therapeutischen Arbeit.
Physiotherapie in der Palliativversorgung war das Thema von Cornelia Prasch. Mobilität bleibt ein Wunsch der Menschen bis zum Lebensende, um diese so lang wie möglich zu erhalten ist die Vermeidung von Inaktivität essenziell. Physiotherapeutische Interventionen wirken darüber hinaus auch gegen Atemnot, Schmerz, neurologische Symptome oder beispielsweise Fatigue.
Die Diätologin Susanne Domkar berichtete über ernährungswissenschaftliche Aspekte in Palliative Care. Die Genussfähigkeit und Selbstständigkeit zu erhalten, Sturzrisiko und Komplikationen zu vermeiden, für intakte Haut sowie Kalorien- und Eiweißzufuhr zu sorgen sind wesentliche Ziele. Wichtig ist auch hier die rechtzeitige und individuelle Abstimmung der Therapie auf den/die Patient*in.
Zu Perspektiven der Ergotherapie in der Palliativversorgung präsentierte Vanessa Röck den Vortrag von Birgit Nienhusmeier, Ergotherapeutin, Lehre und Forschung am FH-Bachelor-Studiengang Ergotherapie in Tirol. Die Unterstützung der Menschen bei Alltagshandlungen in ihrer Umwelt ist bis zum Ende des Lebens wichtig. Die Ermöglichung von Teilhabe am täglichen Leben, Eingebundenheit in die Gemeinschaft, Selbstwirksamkeitserfahrung trotz körperlicher Einschränkungen können einen positiven Blick auf das eigene Leben und Zuversicht vermitteln.
Um „Mutmachen“ ging es im abschließenden Impulsvortrag von Michael-Markus Lippka-Zotti, Oberösterreich-Koordinator des Kinderhospizes Sterntalerhof hinsichtlich der Rolle der MTD-Berufe in Palliative Care. Nicht mehr die Heilung, sondern die Linderung ist das Ziel. Es geht um Anpassung an die individuellen Bedürfnisse und Wünsche des/der Patient*innen, darum die „Held*innen der gemeinsamen Reise zu sein und nicht die Opfer. Ressourcen-Orientierung bedeutet, den/die Patient*in dabei zu unterstützen, ein gutes Leben bis zum Ende in Würde mit so wenig Leid und so viel Wohlbefinden wie möglich zu führen. Dafür sind Beziehung, Kreativität, Flexibilität, Fachwissen und Mut nötig. Auch der Mut die eigene Haltung zu ändern, statt der Probleme, die guten Dinge zu sehen und zu suchen und sich darauf zu konzentrieren, „die Schätze zu entdecken, anstatt die Minen zu entschärfen“.
Mehrere Achtsamkeitsübungen angeleitet von Nina Farkas sorgten für Entspannung und Fokussierung der Teilnehmer*innen.
Rainer Simader, Physiotherapeut und Leiter des Bildungswesens Dachverband Hospiz Österreich, der den Fachtag moderiert hat, sagte am Ende zusammenfassend:
„Ein zentrales Thema war „Wird unser Wert gesehen?“ sowie die Bedeutung von Vermittlung und Kommunikation der Leistungen der MTD-Berufe an die Fachwelt und an die Gesellschaft insgesamt.
Die medizinisch-therapeutischen Berufe leisten auch in der Palliative Care enorm viel, das Wissen darüber und der Zugang zu Therapien muss verbessert, die Finanzierung leistbar werden. Das Bedürfnis nach Austausch unter den Berufsgruppen und die Notwendigkeit verstärkter Kommunikation mit der multiprofessionellen Kolleg*innenschaft ist sehr groß.“
Catrin Neumüller und Rainer Simader, Dachverband Hospiz Österreich