Die große Frage: „Was wünschen sich Menschen für ihr Lebensende?“, soll mit Hilfe des VSD Vorsorgedialogs® beantwortet werden. Hierfür ist Voraussetzung, dass die Patient:innen/Bewohner:innen gemeinsam mit ihren An- und Zugehörigen sowie den Pflege- und Vertrauenspersonen und einer Ärztin/einem Arzt zusammensitzen und darüber sprechen. Die Ergebnisse werden strukturiert festgehalten und dokumentiert und sollen u.a. in Krisensituationen als Entscheidungshilfe dienen.
Karin* kann aufgrund einer Komplikation bei ihrer Geburt vor sechs Jahrzehnten ihre Beine nicht bewegen und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Sie hat immer mit ihren Eltern zusammengelebt, war auf deren Unterstützung, Begleitung und Betreuung angewiesen.
Vor einigen Jahren ist Karins Mutter nach längerer Krankheit verstorben, nicht lange danach verstarb auch Karins Vater.
Nach dem Tod des Vaters war sie gezwungen, sich Hilfe „von Fremden“ zu holen und stieß dabei auf Manuela Tschuk und ihre Kolleg:innen von der mobilen Hauskrankenpflege der CS Caritas Socialis. Von ihnen hat Karin zum ersten Mal vom VSD Vorsorgedialog® gehört. Ich treffe Karin zum Gespräch über den Vorsorgedialog, den Prozess und über Dinge, die das Leben so mit sich bringt.
Karin, was hat Sie dazu veranlasst, vorausschauend ihr Leben und Sterben zu planen?
Ich bin von Geburt an auf den Rollstuhl und Hilfe von anderen Personen angewiesen, mit meiner Endlichkeit habe ich mich schon recht früh auseinandersetzen müssen. Ausschlaggebend für mich, tatsächlich mein Leben und Sterben zu planen, war die Geschichte meiner Mutter. Sie ist vor einigen Jahren an Demenz erkrankt. Als die Krankheit fortgeschritten war, haben wir gemeinsam beschlossen, dass meine Mutter ins Pflegeheim übersiedeln muss – mein Vater war mit Pflege und Betreuung von ihr und mir einfach überfordert.
Im Laufe des Aufenthalts im Pflegeheim kam es dann zu einer Verschlechterung des Zustands meiner Mutter, sie wollte auch nicht mehr essen. Im Pflegeheim konnten sie damit nicht gut umgehen, Mama wurde ins Krankenhaus geschickt, es sollte eine PEG Sonde gelegt werden. Alle waren überzeugt, dass das das Beste für Mama wäre, aber bei der ethischen Besprechung habe ich Nein gesagt. Ich wollte das nicht. Meine Mutter hatte dazu zwar nichts geplant oder verfügt, ich wusste aber, dass sie so etwas nicht gewollt hätte. Gott sei Dank hab‘ ich mich dann durchgesetzt und es wurde keine Sonde gelegt. Die Ärzte haben mir gesagt, dass Mama dann gleich sterben wird, aber sie hat von allein wieder zu essen begonnen, wenig, aber dennoch, und sie hat dann noch mehr als ein Jahr gelebt.
Das Beispiel meiner Mutter hat mir sehr deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, dass ich die Dinge, die ich will oder eben nicht will, vorab plane.
Wie kam es zur Entscheidung für den VSD?
Ich wollte eigentlich eine Patientenverfügung machen, eine beachtliche hatte ich bereits, ich hätte aber noch einen Notar und einen Arzt aufsuchen müssen. Irgendwann habe ich dann einmal mit meiner Alltagsbegleiterin über die Patientenverfügung und meine Überlegungen gesprochen und sie hat mir von Frau Tschuk und dem Vorsorgedialog erzählt. Es hat mir gefallen, dass das nicht mit einem Mal erledigt ist, sondern immer wieder Gespräche stattfinden. Ich kann meine Meinung auch ändern und ich habe immer eine Ansprechperson.
Frau Tschuk hat mich dann angerufen und wir haben einen ersten Termin ausgemacht.
Wie haben Sie den Gesprächsprozess erlebt? Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben ist nicht einfach…
Aufgrund meiner Behinderung habe ich mich schon bald mit meiner Endlichkeit auseinandersetzen müssen, damit, was nicht geht. Das hat mich oft traurig und wütend gemacht, aber meine Eltern haben mir immer den Rücken gestärkt und das hat mich gelehrt, Unterstützung anzunehmen und gelassen zu bleiben. Das war auch bei den Gesprächen hilfreich. Frau Tschuk, die Ärztin, die auch beim Gespräch dabei war, meine Bezugspflegeperson und die Teamleiterin des Hauskrankenpflegeteams haben mich ebenso für voll genommen wie meine Eltern: Was ich will, zählt und steht im Mittelpunkt. Das war immer klar, während aller Gespräche.
Nach einigen Gesprächsterminen haben wir dann den Vorsorgedialog, also den jetzigen und für jetzt einmal gültigen Entwurf, fertig gehabt.
Was wünschen Sie sich für Ihr Leben und Sterben?
Ich bin ohne Glauben aufgewachsen, trotzdem möchte ich nicht allein sein. Ob ich zu Hause bleiben will bis zum Schluss, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Das weiß ich noch nicht. Das werde ich dann sehen. Jetzt bin ich mobil, das ist sehr wichtig für mich, ich gehe allein einkaufen oder mit meiner Begleitung, ich bin selbstständig. Wenn das einmal nicht mehr geht, dann werde ich mich auf die neue Situation einstellen müssen. Das habe ich in meinem Leben gelernt – flexibel zu sein, mich auf Neues einzustellen, dabei gelassen zu sein und die Dinge anzunehmen, wie sie kommen.
Habe Sie einen Rat für Menschen, die sich mit ihrem Leben und Sterben auseinandersetzen möchten?
Ich sag‘: „Nehmt Euer Schicksal an“. Ich kann nicht sagen: „Das geht nicht, ich wehr‘ mich.“ Oder „Nein, ich geh‘ nicht ins Heim“, wenn aber, zum Beispiel, niemand da ist, um mich zu pflegen. Ich finde es wichtig, dass ich mich an Situationen anpasse, das gibt mir Kontrolle über mein Leben. Ich entscheide. Das geht aber nur, wenn ich mich den Dingen stelle. So sehe ich das.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Marianne Buchegger, Leiterin eines Tageszentrums für Senior:innen und Menschen mit Demenz bei der CS Caritas Socialis
*Name von Autorin geändert