Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

„Iss doch, sonst stirbst du!“

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Frau M. ist schon sehr schwach und schluckt das Apfelkompott nicht, das ihr der Ehemann zu geben versucht. Er kocht Apfelmus, wie sie es immer geliebt hat, aber auch dieses vermag sie nicht mehr zu schlucken. Sie dreht den Kopf zur anderen Seite. Ich sehe im Gesicht des Mannes, dass er zu begreifen beginnt, dass seine Frau bald sterben wird. Er lässt verzweifelt die Arme sinken, weil alle seine Zuwendung und Liebe in dieser Form nicht mehr angenommen werden kann.

Essen und Trinken verbinden wir mit Leben, Genuss, Gemeinsamkeit, Fürsorge und Zuwendung. „Liebe geht durch den Magen“, sagt schon der Volksmund. Die Zurückweisung von Essen und Trinken  wird leicht als Zurückweisung von Fürsorge erlebt und macht Angst. Für einen geliebten Menschen nichts mehr tun zu können, macht hilflos. Es ist schwer anzunehmen, was Cecily Saunders einmal sehr klar zusammengefasst hat: „Ein Mensch stirbt nicht, weil er nichts isst, sondern er isst nichts, weil er stirbt.“ Vorstellungen vom Verhungern sind nicht vergleichbar mit der körperlichen Ausgangssituation eines Menschen in der allerletzten Lebenszeit. „Jemand, der verhungert, hat kein Essen. Jemand, der sterbend ist, hat Essen, aber keinen Hunger.“ (AutorIn unbekannt)

Auch der Bedarf an täglicher Trinkmenge sinkt in den letzten Stunden und Tagen stark bis auf wenige Schluck Wasser. Wie viel Flüssigkeit als Infusion noch gegeben wird, ist sehr individuell zu entscheiden und diese Entscheidung ist laufend zu überprüfen. Bausewein/Roller/Volz (2015) führen aus, dass es keinen Beweis gibt, dass eine minimale Flüssigkeitsgabe das Sterben verkürzt, es vergrößert auch nicht das Leiden. Wir haben keine Beweise, dass Flüssigkeitsgabe die Zeit bis zum Tod verlängert, aber es treten oft mehr belastende körperliche Symptome auf.

Trotz dieser Erkenntnisse reagieren nahestehende Menschen fast immer mit Ängsten. „Trinken ist wichtig“,  formulieren Viele, weil es ein Leben lang wichtig war.

Was wir jetzt tun können, hat das Ziel Leiden zu lindern. Wenn Menschen nicht oder sehr wenig essen und trinken, trocknet die Mundschleimhaut aus, auch die Lippen und manchmal auch die Nasenschleimhaut. Infusionen lindern Mundtrockenheit nicht, auch ein Durstgefühl kann bestehen bleiben, aber regelmäßige Befeuchtung der Mundschleimhaut hilft. Ein kleines Sprühfläschchen oder eine Pipette gefüllt ganz nach Wunsch mit Saft, Sekt, Tee ….. erleichtert die Gabe von kleinen Mengen alle 20-60 Minuten je nach Bedarf. Ein kleines Stück Butter auf der Zunge oder ein Stück tiefgefrorene, gelbe Ananas aus der Dose zum „Auslutschen“ schaffen Erleichterung. Die persönliche Lebensgeschichte des betroffenen Menschen zeigt, was gut tut. Für meine Mutter war es der Retsina. Zahlreiche Möglichkeiten finden sich in der Literatur. (Pohl, 2011)

Es ist sinnvoll in winzigen Mengen Lieblingsspeisen anzubieten, aber nicht zu drängen. Vom geliebten Schweinsbraten ein paar Tropfen Bratensaft oder der Saft einer kühlen Melone jetzt im Sommer kann helfen, nochmal ein Stück vom Leben zu kosten und Gutes zu erleben.

Es gibt viel, was wir noch tun können,  wie Hand- oder Fußmassage, Lagerungen, erfrischende Waschungen, feine Düfte ………. Aber das, was zählt, ist ein Mensch, der da ist, wenn wir ihn oder sie brauchen.

„Da kann man nichts machen“, sagte der alte Vater sehr langsam. Er sprach mit sich selbst und nicht mit seiner sterbenden Tochter, die seit mehreren Stunden verbal nicht mehr ansprechbar war. Er strich ihr sanft übers Haar und cremte ihre Lippen mit dem teuren Lippenbalsam, dessen Geruch sie liebte. Und dann saß er an ihrer Seite viele Stunden bis zu ihrem letzten Atemzug.

Bischof Florian Kuntner hat ein Bild geprägt, was notwendig (not-wendend) ist in schwierigen Zeiten. Als Bergsteiger war er der Überzeugung, es braucht gutes Schuhwerk – ein Bild für ausreichendes Wissen und Kenntnisse, eine Jacke, die wärmt – ein Symbol für Menschen, die uns in schweren Zeiten nahe sind, und einen Schirm – um ihn aufzuspannen, wenn nichts mehr zu tun ist, um ihn/sie/uns zu schützen.

Betroffene Menschen zeigen uns, was zu tun oder auch nicht zu tun ist. Wenn wir „nur“ noch den Schirm halten dürfen, tun wir sehr viel! Einen Schirm über jemanden zu halten, kostet viel Kraft – ein Symbol für das Aus-halten, das so schwer ist. Ich wünsche allen WegbegleiterInnen gesichertes Wissen, fürsorgliche Mitmenschen und einen großen Regenschirm.

Literatur:

Bausewein, Claudia/Roller, Susanne/Voltz Raymond (2015). Tipps für die tägliche Arbeit, Häufige Probleme. Leitfaden Palliative Care, 5. Auflage, Elsevier GmBH, München, 364-366.

Pohl, Anita (2011). Mundpflege. In Palliative Care Praktisches Handbuch für Pflegekräfte und pflegende Angehörige, Förderverein Palliative Care LK Krems (www.fvpc.at), Verlag Berger, Horn-Wien, 147-158.

DGKP Karin Böck MAS (Palliative Care)

Tipps zum Essen und Trinken am Lebensende auf www.hospiz.at unter https://www.hospiz.at/betroffene/fuer-erwachsene/so-geht-es-sterbenden/

Foto: www.pexels.com