Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Sterben am Rande der Gesellschaft – Palliative Care in Haft

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„Herr K. sitzt auf seinem schmalen Bett und blickt aus dem Fenster. In seiner Zelle ist er von der Außenwelt abgeschirmt. Im Gefängnis ist er schon sehr lange, seine Frau hat ihn am Anfang seiner Haft für einen seiner Kumpels verlassen. Das könne er ihr nicht verübeln, sagt Herr K. Allein, aber nicht einsam sei er, sagt Herr K. Das Gefängnis ist sein Zuhause, hier kennt er sich aus und fühlt sich wohl.

Er hat keine Angst davor, zu sterben – der Tod, der gehört halt zum Leben. Aber trotzdem will er nicht im Gefängnis sterben…. er wünscht sich, umgeben von lieben Menschen, umsorgt und behütet zu sterben. Er möchte begleitet werden, nicht alleine sein.

Aber das ist hier drin nicht möglich, schüttelt Herr K. den Kopf. Hier ist er einer unter vielen, einer wie der andere.“*

Der Tod im Gefängnis wird in der Öffentlichkeit vorwiegend nur dann behandelt, wenn sich dieser medienwirksam in eine Schlagzeile verwandeln lässt. Weniger Interesse wird jenen Menschen entgegengebracht, welche in den Justizanstalten altern und durch lebenslimitierende Erkrankungen eines natürlichen Todes versterben. Es handelt sich hierbei um eine ganz besondere Nische, die sich der kollektiven Wahrnehmung entzieht.

Befasst man sich mit Äußerungen von inhaftierten Personen, die von Hostettler et al. (2016) zum Sterben im Vollzug befragt wurden, so zeigt sich, dass sie vor allem vor der Situation „unbemerkt, einsam und alleine, eingesperrt in der Zelle sterben zu müssen“ Angst haben. Denn speziell inhaftierte Menschen erfahren am Ende ihres Lebens starke Einschränkungen. Da die Anforderungen des Freiheitsentzuges deutlich im Widerspruch zu den Bedürfnissen am Ende des Lebens stehen, können diese Menschen zumeist nicht über die Bedingungen ihres Ablebens frei entscheiden. Dies gilt besonders für Personen, welche im so genannten Maßnahmenvollzug untergebracht sind, vor allem jene nach § 21, Abs. 2 des StGB, und weiterhin als gefährlich eingestuft werden. Sie haben kaum eine Perspektive auf ein Lebensende in Freiheit, denn die Chancen, aus dem Maßnahmenvollzug entlassen zu werden, sind minimal. Jedoch sind die Bedingungen, unter denen Menschen sterben, hochbedeutsam im Sinne der Selbstbestimmung und der Menschenwürde.

Auch wenn eine vorzeitige Entlassung in Frage käme, ist es ausgesprochen schwierig, diese Personen an einem anderen Ort wie beispielsweise einem Hospiz oder einem Pflegeheim unterzubringen. Strafgefangene Menschen, die lange Zeit in Haft verbracht haben, können häufig weder auf Familienangehörige noch auf Personen aus ihrem Freundeskreis zurückgreifen, welche bereit wären, sie am Ende ihres Lebens zu betreuen. Somit obliegt es der Verantwortung der jeweiligen Justizanstalt, die sterbenden inhaftierten Menschen adäquat zu versorgen und angemessene Alternativen für diese zu finden.

Die Verflechtung einer restriktiven Verurteilungspraxis mit einer sich im Wandel befindenden demographischen Entwicklung wird die Zahl jener Menschen, welche in Haft versterben werden, stetig anwachsen lassen. Betrachtet man jedoch die praktische Umsetzung eines würdevollen Sterbens in Gewahrsam, so erweist sich diese als besonders schwierig. Sterbende inhaftierte Menschen sollten allerdings, wenn dies ihrem Wunsch entspricht, im Sinne des Palliative Care Gedankens, je nach Möglichkeit, „zu Hause“ oder in einem Hospiz begleitet werden. Eine offizielle Untersagung ebendieser Optionen führt zu der Notwendigkeit, menschenwürdige Rahmenbedingungen für sterbenskranke Personen innerhalb der Justizanstalten zu schaffen. Die Einrichtung solch eines Gefängnis-Hospizes oder einer entsprechenden Abteilung könnte zumindest den Einsatz von Palliative Care gewährleisten und im weiteren Sinne ein Sterben in Würde ermöglichen. Die Implementierung von Palliative Care dürfte gelingen, wenn eine intensive Zusammenarbeit des justizinternen Teams mit externen Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung forciert wird. Obendrein kann ein in Palliative Care ausgebildetes multidisziplinäres Team, bestehend aus Ärzt*innen, Justizwachebeamt*innen, Pflegepersonen, Psycholog*innen, Seelsorger*innen, Sozialarbeiter*innen und Therapeut*innen, deren Einsatz im österreichischen Maßnahmenvollzug bereits etabliert ist, durchaus zu einer palliativen Betreuung innerhalb des Gefängnissystems beitragen.

Die Einbeziehung von Angehörigen in den Sterbeprozess sollte demnach auch im Gefängnis sichergestellt werden. Besteht der Wunsch nach Angehörigenkontakt, ist eine frühzeitige Kontaktaufnahme und einfühlsame Information sowie ständige Beratung und Begleitung der Angehörigen unverzichtbar. Nahestehende Angehörige sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten in eine sinnvolle Kooperation zur Betreuung der betroffenen Person eingebunden werden. Der soziale Kontakt in jener letzten Phase des Lebens erhöht zusätzlich die Aussicht, mit sich und dem Umfeld befriedet sterben zu können. Damit dies gelingen kann, sind Lockerungen von Besuchsregelungen unbedingt notwendig. Ist eine Begleitung durch Angehörige nicht möglich, könnten auch Ehrenamtliche, Mitarbeiter*innen oder Mitinsass*innen, je nach zwischenmenschlicher Bindung, herangezogen werden. Denn die sterbende Person muss immer im Mittelpunkt stehen, egal welche schwerwiegenden Geschichten oder Ereignisse sich in jenem Leben zugetragen haben. Letztlich sind wir alle Menschen und am Lebensende ganz speziell von der Zuwendung unseres sozialen Umfeldes abhängig.

Ing. Mag. Dr. Michael Gruber, BSc., Ergotherapeut & Pflegewissenschafter

Literatur: Hostettler, U.; Marti, I.; Richter, M. (2016): Lebensende im Justizvollzug. Gefangene, Anstalten, Behörden. Bern: Stämpfli Verlag.

*Die einleitende Geschichte ist fiktiv. Alle Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen sind zufällig.

Foto: www.pexels.com