Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

Meine Welt, ganz anders… Menschen mit Demenz am Lebensende begleiten

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Ich treffe Friederike Grill in der Karwoche, um über die Begleitung von Menschen mit Demenz am Lebensende zu sprechen. Passend, geht es in der Karwoche doch auch um den letzten Weg Jesu und um die Frage, wer den letzten Weg, bis zum Schluss mit ihm gehen wird. Nicht alle wollen das, nicht alle können das. So ist es auch in der Begleitung von Menschen mit Demenz.

Friederike Grill ist Ergotherapeutin, war Leiterin eines Tageszentrums für Menschen mit Demenz, ist Validationslehrerin und arbeitet einmal in der Woche als Validationsbeauftragte in einem Pflegeheim, außerdem ist sie ehrenamtlich bei Promenz tätig. In all ihren Tätigkeiten ist ihr die Validation, die wertschätzende Haltung in der Begleitung der Menschen und spezielle Techniken, um herausfordernden Situationen zu begegnen, wichtige Unterstützung.

Ich treffe sie abends nach ihrem Tag im Pflegeheim und möchte von ihr wissen, wie lange die letzte Situation, in der Validation geholfen hat, zurückliegt.

„Gar nicht lange. Das war heute, im Pflegeheim. Eine sehr alte Dame, deren Demenzerkrankung bereits sehr weit fortgeschritten ist, rief heute wiederholt „Schwester, Schwester“. Die diensthabenden Pfleger:innen waren gerade mit der Betreuung anderer Bewohner:innen beschäftigt, hatten also nicht viel Zeit für sie. Ich habe mich zentriert, bin zu ihr gegangen und habe sie gefragt, was ich für sie tun könne. „Ich muss nach Wien!“, rief die Dame. „Was ist in Wien?“, fragte ich. „Meine Mama“ war die Antwort. Die Dame ist 102 Jahre alt, ihre Mama schon lange verstorben. „Mama“ ist häufig ein Symbol für Geborgenheit, Schutz und Liebe. Aber auch ein Symbol für ‚zu Hause‘ und ‚nach Hause gehen‘. Die Dame saß an dem Tag lange draußen im Foyer. Sie wurde dann von den Pflegepersonen ins Bett gebracht. Auch das Bett kann ein „zu Hause“ sein, ein Raum, der Schutz und Geborgenheit bietet. In der Validation gibt es aber auch eigene Berührungen, zum Beispiel die „Mutterberührung“, die wir anwenden, um dieses Gefühl der Geborgenheit weiterzugeben. Dabei streicht man mit der eigenen Handinnenseite sanft von der Schläfe über die Wange des Menschen, das kann beruhigen und Sicherheit geben.“

Die Symbolkraft des Wortes ‚Mama‘ erinnert mich an die Symbolsprache, die sterbende Menschen immer wieder verwenden. Gibt es da Parallelen?

„Die Symbole der Validation und die Symbolsprache sind nicht immer scharf zu trennen“ erklärt Friederike Grill. „Ich habe einmal eine Validationsrunde geleitet, bei der es einer Dame sehr wichtig war, sich am Ende von allen Teilnehmer:innen einzeln zu verabschieden. Sie müsse jetzt weg, erzählte sie. Sie schüttelte jedem einzelnen die Hand und sagte ‚Auf Wiedersehen‘. Als ich ein paar Tage später wieder auf die Station kam, erfuhr ich, dass die Dame kurz nach ihrer Teilnahme an der Validationsgruppe verstorben war. Die Grenzen der Symbolik verschwimmen hier.“

Kann man auch sterbenden Menschen, die nicht an Demenz erkrankt sind, mit Validation begegnen?

„Nun, hier ist wichtig zu unterscheiden, wie orientiert die Person ist. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Validationsmethode für hochaltrige, desorientierte Menschen entwickelt worden ist, die keine psychiatrische Vorgeschichte haben und wenig Verhaltensrepertoire besitzen, um mit diesen Verlusten umzugehen. In der Validation wird dieses Verhalten mit „desorientiert“ beschrieben. Das Wort „Demenz“ wird bewusst nicht verwendet, weil es durch seine wortwörtliche Bedeutung stigmatisierend ist und der Mensch dahinter zu wenig beachtet wird. Die Techniken der Validation sind für Menschen ohne Demenz oft nicht geeignet.“

Es wird viel über die absichtslose und anerkennende Haltung in der Validation gesprochen. Diese sollte doch für alle Menschen gelten, nicht nur für jene mit Demenz?

„Natürlich“, sagt Friederike, „Ich begegne dem Menschen, der mir gegenübersteht, immer mit dieser Grundhaltung, egal, ob er oder sie an Demenz erkrankt ist oder nicht. Die Frage, die ich mir stelle, lautet: „Was braucht genau dieser Mensch?“ Aber manche Techniken sind oft nicht anwendbar. Zum Beispiel kann das ‚nach Extremen fragen‘ bei Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen fatal sein und genau das Gegenteil dessen auslösen, was wir mit der Validation erreichen wollen, nämlich, dass sich das Gegenüber wahr- und ernst genommen fühlt.“

Menschen mit Demenz werden immer häufiger auch von spezialisierten Angeboten, wie zum Beispiel von Mobilen Palliativteams oder in Palliativstationen, betreut. Was kannst Du Kolleg:innen, die keine Validationsexpert:innen sind und Menschen mit Demenz, zum Beispiel auf der Palliativstation oder im Hospiz, begleiten, mit auf den Weg geben?

„Ich denke, dass es innerhalb der spezialisierten Angebote grundsätzlich wenig Unterschiede in der Haltung zu und Begleitung von Menschen mit und ohne Demenz gibt. Mir ist wichtig zu betonen, dass das Zentrieren und ernst Nehmen der eigenen Gefühle unglaublich wichtig für eine gelingende Begleitung sind. Um Menschen auf ihrem letzten Weg mit Kraft und Zugewandtheit begleiten zu können, muss ich gut bei mir sein. Dafür ist das Zentrieren wichtig und auch die Arbeit im Team. Ich kann Menschen nicht allein begleiten, ich muss mich mit anderen austauschen können, mich und meine Handlungen, aber auch Situationen und Herausforderungen reflektieren. Das ist in der Begleitung von Menschen mit Demenz besonders wichtig, wenn es um Schmerzen geht. Auf Schmerzen reagieren Menschen mit Demenz häufig anders …. Das liegt daran, dass sie den Schmerz nicht mehr zuordnen können. Das löst Angst aus und Angst kann, je nach Natur und Persönlichkeit, in herausforderndem oder aggressivem Verhalten münden. Liegt ein solches Verhalten vor, muss immer auch an körperliche Schmerzen gedacht werden.“

Spielt Total Pain bei Menschen mit Demenz auch eine Rolle?

„Unbedingt! In jeder Phase der Demenz erleben die Menschen unglaubliche Verluste. Sie erleben, dass ihre Gefühle nicht wahrgenommen werden oder über Bedürfnisse ‚drübergefahren‘ wird. Ihre psychosozialen und spirituellen Bedürfnisse bestehen bis zum Schluss, werden aber oft zu wenig beachtet. Dabei wissen wir, dass, zum Beispiel, spezielle Musik, wie die Taizé Gesänge, von Menschen mit Demenz, auch noch im letzten Stadium, mitgesungen werden können. Wir erleben, dass Menschen mit Demenz, die eigentlich nur mehr in ihrer eigenen Welt zurückgezogen im Bett liegen, im Rahmen eines Taizé Gesangs die Augen öffnen und für kurze Zeit mitsummen. Das ist unbeschreiblich. Trotzdem ist essenziell, dass alles bedacht wird. Also, ob es neben den seelischen, psychischen, spirituellen oder sozialen Schmerzen auch körperliche Schmerzen gibt. Und die müssen entsprechend behandelt werden.“

Zum Abschluss möchte ich von Friederike wissen, was sie sich für ihre Zukunft wünscht.

„Ich möchte bis zum Ende meines Lebens Menschen begegnen. Und umgekehrt möchte ich, dass dann, wenn ich es brauche, auf meine Bedürfnisse geachtet wird. Ich möchte meinen Kaffee so trinken, wie ich ihn immer getrunken habe. Ich möchte, dass alles so passiert, wie ich es gewohnt war. Ich möchte mich sicher und geborgen fühlen.“

 

Das Gespräch führte Marianne Buchegger, Leiterin eines Tageszentrums für Menschen mit Demenz

Bildquelle: Aktion Demenz