Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich

„Beim Sterben sind wir alle gleich“ – Palliativpflege bei Diversity Care Wien

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Susanne Ciescutti und Heidrun Beinder sind als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen bei Diversity Care Wien tätig und haben speziell im Umgang mit Menschen aus vulnerablen Gruppen viel Erfahrung gesammelt. Heute geben sie Einblick in ihre Tätigkeit im Rahmen von Palliative Care.

Neben Menschen mit HIV/AIDS, Abhängigkeitserkrankungen, psychiatrischen Diagnosen und Menschen aus anderen kulturellen Herkunftswelten nehmen auch viele Menschen aus der LGBTIQA-Community die bedürfnisorientierten Pflege- und Betreuungsleistungen in Anspruch.

Der Pflegealltag ist von besonderer Sensibilität im Umgang mit den Menschen geprägt. Das bedeutet, in der letzten Lebensphase nicht auf die „Besonderheiten“ zu fokussieren, sondern auf das, was allen gemeinsam ist. Das gibt Sicherheit vor Ausgrenzung und hilft bei Berührungsängsten. Schließlich eint alle betroffenen Menschen, dass es neben Symptombekämpfung und Schmerzlinderung vor allem um Zuwendung und seelischen Beistand geht. „Die Vorstellungen davon sind individuell sehr unterschiedlich. Es hat stark mit dem Alter zu tun, in dem sich Menschen verabschieden. Die einen wollen weniger Kontakt oder nicht so intensiven, die anderen mehr. Aber ich könnte das jetzt nicht an einer Zugehörigkeit zur LGBTIQA-Community oder einer anderen Personengruppe festmachen“, sagt Beinder.

Menschen, die durch Diversity Care Wien palliativ betreut werden, haben häufig eine spezielle Vorgeschichte. „Viele waren schon HIV-positiv, als es noch keine guten Behandlungsmöglichkeiten gab. Die sind meistens schon offener fürs Thema Tod, weil sie sich schon früher damit auseinandersetzen mussten. Ein Palliativkunde hat mir einmal gesagt: ‚Ich bin aus einem Freundeskreis der Letzte, der bis jetzt überlebt hat. Vorm Sterben habe ich keine Angst, weil es durch die jahrelange Infektion immer ein Thema war.‘ Im Vergleich dazu müssen zum Beispiel die Patient*innen auf einer Dermatoonkologie-Station sehr kurzfristig darauf vorbereitet werden“, führt Ciesciutti aus.

In den 1990er-Jahren, als AIDS noch eine tödliche Krankheit war, reagierten viele Menschen mit Substanzgebrauch (z.B. Alkohol, Drogen) auf die Diagnose und die damit verbundene Perspektivlosigkeit, Angst und Ausgrenzung. Heute ist die Situation anders. Dank der Kombinationstherapie HAART (Highly Active Antiretroviral Therapy) gibt es hinsichtlich Lebenserwartung in vielen Fällen keinen Unterschied zur Durchschnittsbevölkerung. HIV-positive Menschen können in Wien auf ein breit gefächertes Angebot in Schwerpunktpraxen und Ambulanzen zurückgreifen, bei Bedarf stehen Angebote der Aids Hilfe Wien zur psychosozialen Unterstützung und Beratung zur Verfügung. Im mobilen Pflege- und Betreuungsbereich ist Diversity Care Wien die erste Anlaufstelle für Menschen aus dieser Community. Früher mussten viele Menschen mit HIV schon im jungen Lebensalter palliativ betreut werden. „Mittlerweile hat sich dank der guten Therapiemöglichkeiten das Alter von Menschen mit HIV im Palliativbereich aber weitgehend an den Durchschnitt angeglichen“, sagt Beinder. Auch deshalb nimmt Palliative Care – im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten – heute bei Diversity Care Wien keine übergeordnete Rolle mehr ein.

Am herausforderndsten bezeichnet Beinder – wie in allen Pflegesettings – die finale Begleitung von Menschen mit Sucht- und Abhängigkeitsproblemen. Allen voran wegen der Rahmenbedingungen. „Da geht es etwa um Pünktlichkeit, Hygiene, Essen und Routinen bei der Medikamenteneinnahme. Es benötigt oft viel Energie, sich den Menschen nähern zu können und eine Behandlungsbeziehung aufzubauen“.

Allgemein betrachtet Beinder, die jahrelang auf einer Intensivstation tätig war, Palliative Care als persönliches Anliegen: „Für mich ist die Begleitung in der letzten Lebenszeit ganz besonders — das Wissen, dass es der letzte Abschnitt ist, und das Bemühen, diesen möglichst angenehm zu gestalten.“ Ciesciutti hebt darüber hinaus die außergewöhnlichen Charaktere und deren Lebensgeschichten hervor, die bei den Palliativeinsätzen von Diversity Care Wien gehäuft zum Vorschein kommen.

„Beim Sterben sind wir alle gleich, unabhängig von der Community“, sagt Susanne Ciesciutti. „Am Ende muss jede Person den gleichen Weg gehen“, stimmt ihr Heidrun Beinder zu.

Simon Nowak, Bakk. phil. | Administration & PR

Website: http://www.diversitycare.wien/

Bildquelle: 2019_11_DiversityCareWien_©NikoHavranek_web-2